Aus dem Leben der Anderen – Wie sehr darf eine Romanfigur realen Personen gleichen?

„Das Leben schreibt die besten Geschichten“ – wenn man sich als Autor diesen Leitsatz zum Grundsatz seiner Arbeit macht, stößt man bald auf die Frage, inwieweit man tatsächlich reale Personen und Geschehnisse in einem Roman verwenden darf, ohne mit rechtlichen Konsequenzen rechnen zu müssen.

 

Die geschützten Grundrechte

Im „Ernstfall“ stehen sich besonders zwei Grundrechte gegenüber, die gegeneinander abgewogen werden müssen:

 

Die Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) schützt die Kunst, ihren Werkbereich (Schöpfung des Werkes) und ihren Wirkbereich (die Verbreitung dessen). Geschützt ist sowohl der Künstler, als auch derjenige, der als Mittlerfunktion zwischen Künstler und Publikum steht (z.B. Verleger etc.).

 

Demgegenüber steht das Allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG. Es ist ein ungeschriebenes Grundrecht und wurde aus der allgemeinen Handlungsfreiheit entwickelt. Es schützt das Datenschutzrecht, das Recht auf Selbstbestimmung, das Recht auf Selbstbewahrung und eben auch das Recht auf Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit. Je stärker in die Sphäre des menschlichen Lebensbereiches eingegriffen wird, umso Stärker müssen die Rechtfertigungsgründe sein. Die verschiedenen Sphären sind: Die Sozialsphäre (der Bereich, der das private Leben umgibt, also unsere selbstgewählte Öffentlichkeit), die Privatsphäre (die Lebensgestaltung des Menschen, die bewusst nicht öffentlich sein soll) und die Intimsphäre des Menschen (die Gedanken, die Sexualität, die Gefühle). Sobald in die Intimsphäre des Menschen eingegriffen wird, ist keine Rechtfertigung mehr möglich, denn sie ist unantastbar.

 

Fiktion des literarischen Werkes

Da das Grundrecht der Kunstfreiheit für die persönliche Entfaltung des Menschen unerlässlich ist, kommt ihm sehr viel Gewicht zu. Deshalb wird dem betreffenden literarischen Werk grundsätzlich eine Fiktion unterstellt. Das heißt, die Rechtsprechung geht immer zuerst davon aus, dass die in der jeweiligen Literatur beschriebene Handlung und ihre Personen fiktiv sind und daher nicht das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der betroffenen Personen berührt ist. Natürlich nur, wenn der Autor selbst nicht das Gegenteil behauptet.

 

Erkennbarkeit von realen Personen

Diese Fiktionsvermutung gilt sogar auch, wenn deutlich die realen Personen als „Urbilder“ des Romans erkennbar sind und sogar weiter, wenn diese realen Vorbilder negativ dargestellt werden. Denn „Für ein literarisches Werk, das an die Wirklichkeit anknüpft, ist es gerade kennzeichnend, dass es tatsächliche und fiktive Schilderungen vermengt.“ (Bundesverfassungsgericht im sog. Esra-Beschluss; unten mehr dazu).

 

Anforderung an die dargestellte (negative) Fiktion

Das heißt also, dass die negative Darstellung der Person nicht offensichtlich für die Wahrheit gehalten werden darf. Auch wenn der Leser die reale Person als solche identifiziert, muss ihm deutlich gemacht werden, dass die negativen „Zusätze“ fiktiv sind.

 

Die Esra-Entscheidung

Deutlich differenziert wurde bei der ESRA-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus 2007 (1 BvR 1783/05).

 

Gegenstand des Verfahrens war ein im Jahr 2003 bei Kiepenheuer & Witsch erschienener Roman. Das Buch handelt von einem Autor, „Adam“, der eine komplizierte Liebesgeschichte mit der türkischen Schauspielerin „Esra“ führt. Die Liebe scheitert letztendlich aufgrund von Hass, Verfolgungswahn und Misstrauen. Ebenfalls spielen die verschiedenen kulturellen Hintergründe sowie die Hassbeziehung zwischen Adam und Esras Mutter eine große Rolle für das Scheitern der Liebe.

 

In der Figur der Esra hat sich die Ex- Freundin des Autors wieder gefunden. Das Leben, die Verwandtschaftsverhältnissen, der Beruf und sogar die tatsächlich verliehenen  Auszeichnungen, glichen so sehr dem Leben der Frau, dass sie als reale Person für den Leser in der Romanfigur „Esra“ erkennbar wurde. Intime Details, beispielsweise die Bitte, dass sie sich nicht eines Tages mit ihrem Intimleben in einem seiner Romane wiederfinden möchte, beschrieb Biller ebenfalls in seinem Roman. Auch die Mutter der Frau fühlte sich in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt, da sie durch die Identifizierbarkeit ihrer Tochter erkennbar wurde. Hiergegen sind Mutter und Tochter rechtlich vorgegangen. Die Veröffentlichung des Romans wurde aufgrund dessen gerichtlich verboten.

 

Obwohl beide Romanfiguren eindeutig als die reale Schauspielerin, und deren Mutter identifiziert werden konnten, entschied das Gericht, dass nur das Persönlichkeitsrecht der Einen so stark verletzt wurde, dass diese Verletzung die Kunstfreiheit überwiegt. Das Persönlichkeitsrecht der Muter hingegen nicht.

 

Verletzung der Intimsphäre

Im Falle der Ex- Freundin des Autors hat das Gericht eindeutig die starke Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeit durch das literarische Werk bejaht. Durch die Schilderung intimster Details sei die Intimsphäre verletzt worden. Diese Sphäre ist grundrechtlich so stark geschützt, dass kein anderes Grundrecht dagegen aufgewogen werden kann.

 

Unterschied zwischen Fiktion und Wahrheit

Dadurch, dass die Beziehung der Romanfiguren so sehr der der Beziehung von Maxim Biller und  seiner früheren Freundin glich, konnte der Inhalt des Romans der Anforderung an die Fiktion nicht mehr stand halten. Der Leser konnte – so das Gericht – nicht mehr zwischen Wahrheit und Fiktion unterscheiden. So erhöhte sich die Wahrscheinlichkeit, dass die vom Autoren geschilderten intimen Details der Wahrheit entsprachen. Bei der Mutter hingegen hielt die vermutete Fiktion stand. Maxim Biller äußere sich in seinem Roman über die Mutter in Form von indirekten Erzählungen, Gerüchten und Eindrücken, so dass der Leser immer noch Fiktion vermuten konnte.

 

Fazit

Zusammenfassend ist zu sagen, dass die Grenzen zwischen der starken Persönlichkeitsverletzung und der von der Kunstfreiheit geschützten literarischen Fiktion teilweise schwer abzugrenzen ist. Sobald der Betroffene „erkennbar zum Gegenstand einer medialen Darstellung“ wird, d.h. sobald derjenige, dessen Charakter Vorbild für eine Romanfigur ist, objektiv erkennbar ist, ist der Schutzbereich des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts betroffen. D.h. dann könnte die Möglichkeit bestehen, dass das Allgemeine Persönlichkeitsrecht durch das literarische Werk verletzt wird. Es ist also ratsam, von Anfang an diese Problematik zu vermeiden und die literarischen Figuren so zu verfremden, dass das Werk nur eine „kunstspezifische Betrachtung“ zulässt und somit das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen nicht verletzt.

13 Kommentare Schreibe einen Kommentar

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  2. Ich habe ein ähnliches Problem. Mein Exfreund hat ein Buch veröffentlicht und ist damit sehr erfolgreich. Ein Großteil des Buches erzählt unsere Beziehung und ist, obwohl mein Name geändert ist, nachvollziehbar für sämtliche Personen, die uns beide kennen. Ich habe nie mein Einverständnis gegeben und wollte dies nicht. Habe jedoch noch vor Veröffentlichung einige Passagen streichen bzw. ändern dürfen. Dennoch würde ich aus meiner jetzigen Situation heraus gerne dagegen vorgehen. Oder mich zumindest dafür entschädigen lassen, dass er seinen Erfolg als Autor darauf basiert, fünf Jahre meines Privatlebens an die Öffentlichkeit zu bringen. Habe ich da irgendeine Handhabe?

  3. Hallo, ich habe eine Frage. Ich schreibe einen Roman nach wahrer Begebenheit. Es geht um die Ehe mit meinem Exmann. Ich habe ihn mehrmals schriftlich auf Englisch gefragt, ob ich den Roman mit persönlichen Inhalten veröffentlichen darf. Er antwortete nicht.Ich weiß auch nicht, wo er aktuell lebt. Er versteht kaum Deutsch. Wenn ich den Roman unter einem Pseudonym veröffentliche,wie hoch ist die Chance, dass er es herausfinden könnte?

  4. Hallo Herr Damburg,
    ich schreibe eine fiktive im Krankenhaus spielende Erzählung. Natürlich beschreibe ich auch einzelne Fälle, selbstverständlich ohne Namen und mit entfremdeten Fakten. Dennoch sind sie inspiriert von meinen eigenen Erfahrungen als Ärztin und es kann sein, dass meine Fälle realen Fällen ähneln, ohne das selbige mir als explizites Vorbild gedient haben. Kann das ein Problem werden? Worauf sollte ich achten?
    Reicht es, wenn ich einen formalen Absatz unter den Text schreibe, dann alles Fiktion ist und Zufall, wenn Ähnlichkeiten zu real existierenden Personen bestehen?
    Vielen Dank, Sophie

  5. Hallo,
    ich möchte gerne ein Buch schreiben über mein eigenes Leben. Ob es nun ein autobigrafischer Roman wird sehen wir dann. Mein Problem ist, dass ich natürlich auch über Erlebnisse schreibe, die auch andere Familienmitglieder betreffen. Wie z.b. die Gewalt zwischen meinen Eltern die ich als Kind mit erleben musste. Kann ich solche Sachen im Detail schreiben, oder benötige ich für solche Sachen die Einverständnis aller Beteiligten? Ich meine es ist ja mein Leben, meine Kindheit?!

  6. Hallo
    Das kann ich so konkret für den Einzelfall leider nicht beantworten. Danke für das Verständnis.
    Wie oben geschrieben hängt es im Wesentlichen von der Identifizierbarkeit ab.
    Beste Grüße

  7. Hallo,
    ich habe einen autobiographischen Roman geschrieben. Die „Entstellung“ der Personen is von daher schwierig, da es sich um Sachen handelt, die die Personen wirklich geredet und geschrieben haben. Ist das schon ein Zitieren und darf es überhaupt so wortgetreu wiedergegeben werden? Und Leute, die mich kennen, können sicher identifizieren, wer diese Personen sind. Muss ich mir da vorher auch die Einverständnis der betreffenden/zitierten Person/en einholen?

  8. Hallo 🙂 Wie funktioniert das, wenn in meinem Buch Albert Einstein und Rosa Luxemburg als Protagonisten in einer Parallelwelt Abenteuer bestehen?
    Danke 🙂

  9. Hallo,

    ich habe einen Roman geschrieben, der komplett fiktiv ist, aber bei dem in einer Bar Bands auftreten, die es tatsächlich gibt und es werden Songs genannt, da die Band sie ja spielt. Und einmal findet ein Tarantino-Abend statt, bei dem Filmzitate genannt werden und Personen als Filmfiguren, wie Mia Wallace oder Vincent Vega verkleidet sind. Muss ich das alles löschen oder gegen etwas verändertes tauschen? Das konnte ich nicht richtig herauslesen.
    Vieeeeelen Dank für einen Hinweis 🙂

  10. Guten Tag, meine Partnerin hat ihren Romanentwurf, an dem sie mehrere Jahre gearbeitet hat, ihrer Freundin zu lesen gegeben, deren Haus sie in der fiktiven Geschichte allerdings ziemlich konkret als Setting beschrieben hat. Nun will ihre Freundin ihr dieses (anonyme) Setting verbieten. Sie wusste vorher, dass ihr Haus als Setting benutzt wird. Aber nun ist sie mit der Detailbeschreibung nicht einverstanden. Genauere Begründung kenne ich noch nicht …

  11. Hallo 🙂

    ich möchte einen roman schreiben, wo ein politiker von einer partei vorkommt bzw. nur stellen aus seinem veröffentlichten buch zitiert werden. Ist das möglich Zitate aus echten „Sachbüchern“ oder „Meinungsbüchern“ in romanen zu zitieren? die bücher sind ja veröffentlicht, und der politiker kommt selbst nicht vor, sondern nur sein Buch.

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