Digitaler Nachlass: Und auf einmal ist die Frage der Vererbbarkeit nicht mehr so einfach zu beantworten …

Als Sony am 1. Juni 1979 den Walkman auf den Markt brachte, konnte man Musik endlich auch  unterwegs hören, ohne einen riesigen „Ghetto-Blaster“ auf den Schultern zu tragen. Man kaufte eine Kassette, schob sie in den Walkman und drückte auf „Play“. Verstarb der Eigentümer dieser Kassette, ging sie gemäß § 1922 BGB in das Vermögen der Erben über. Die Frage, was auf der Kassette war und die Gültigkeit von etwaigen Nutzungsrechten der Werke stellte sich überhaupt nicht: Es ist kein Fall bekannt, bei dem ein Musik-Label eine Privatperson dazu aufforderte, seine rechtmäßig geerbte Kassette zu zerstören.

Mittlerweile hat sich der MP3-Player auf dem Markt durchgesetzt und es werden keine Kassetten gekauft, sondern Dateien von Musikdatenbanken heruntergeladen. Auch die Downloads von E-Books sind gestiegen. Im Gegensatz zu früher wird aber durch den „Kauf“ von Büchern und Musik kein Eigentum mehr an körperlichen Gegenständen, wie gebundenen Büchern, Kassetten oder CDs erworben, sondern nur noch das Nutzungsrecht, auch Lizenz genannt, an den digitalen Daten.

Vererbbarkeit von Nutzungsrechten digitaler Dateien als Teil des „digitalen Nachlasses“

Trotzdem ändert es erst einmal nichts an der Tatsache, dass diese Nutzungsrechte auch vererbt werden können. Wie bei dem früheren Erwerb einer Kassette erlangt der Erbe im Erbfall auch das Eigentum an dem Datenträger, meistens eine Festplatte, auf dem die Datei gespeichert ist – als Teil des sogenannten „digitalen Nachlasses“.

Alle bestehenden Rechtsverhältnisse und Rechte der Dateien, die auf dem Datenträger gespeichert sind, gehen auf den Erben über. Das gilt nicht nur für Urheberrechte von Werken gemäß § 2 Abs. 1 UrhG, die der Erblasser geschaffen hat, wie für Texte und  Fotografien, sondern unter anderem auch für die Nutzungsrechte beispielsweise an E-Books und MP3–Dateien.

Kein Erbe von nicht Vererbbarem

Allerdings können die Verträge von den zuvor erworbenen Lizenzrechten so ausgestaltet sein, dass die Nutzung zeitlich begrenzt oder die Vererbbarkeit ausgeschlossen wird (§ 31 Abs. 1 S. 2 UrhG). Es gibt verschiedene Arten von Nutzungsrechten, die von den jeweiligen Vertragsparteien vereinbart werden können.

Welche Nutzungsrechte zu welchen Konditionen erworben werden, kann auch in den AGB der Onlineanbieter geregelt sein.

Unübersichtliche AGB

Wenn keine eindeutigen Regelungen zur Vererbbarkeit des Nutzungsrechts in den AGB der Anbieter zu finden ist, muss der Vertragszweck im Sinne der Zweckübertragungsregel ermittelt werden (s. dazu der Blogbeitrag: „Die Zweckübertragungslehre im Urheberrecht“).

In den Nutzungsbestimmungen von „itunes“ beispielsweise, wird der Erbfall nicht erwähnt. Ein Weiterverkauf oder eine Weitergabe der Lizenz ist nicht erlaubt. Die Frage, ob die Vererbung der Lizenz eine „Weitergabe“ im Sinne dieser Nutzungsbedingungen ist, ist nicht eindeutig. Dies kann in einem gerichtlichen Streitfall nur nach juristischer Auslegung entschieden werden. Für einen juristischen Laien jedoch sind die AGB kaum zu verstehen.

Auch wenn die AGB mancher Anbieter eine Übertragung der Nutzungsrechte zulassen würde, kann der Erbe in der Praxis von der vererbten Onlinebibliothek keinen Gebrauch machen. Er ist zwar in der Lage, auf die Dateien des Datenträgers zuzugreifen, kann sie aber nicht in der Onlinebibliothek des Erblassers abspielen, weil er nicht über die persönlichen Zugangsdaten verfügt.

Im Rahmen des „digitalen Nachlasses“ stellt sich deshalb die Frage: Haben die Erben das Recht auf Herausgabe der Zugangsdaten von Onlinekonten des Verstorbenen? Sind diese überhaupt vererbbar? Damit hat sich nun das Berliner Kammergericht beschäftigt.

Die Entscheidung des Kammergerichts zu Facebook-Konten

Eine Mutter hatte Facebook auf Herausgabe der Zugangsdaten ihrer verstorbenen Tochter erfolglos in 2. Instanz verklagt. Das Kammergericht (Urteil vom 31. Mai 2017, Az. 21 U 9/16) hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass der Anspruch der Erben dem des Fernmeldegeheimnisses der dritten Kommunikationspartner der Tochter entgegenstehe.

Vererbbarkeit von Social-Media-Konten

Ob und inwieweit die Erben in die Rechte und Pflichten aus dem Vertrag mit „Facebook“ eingerückt sind, hat das Gericht in seinem Urteil offen gelassen. Zwar sei dies grundsätzlich möglich, um passive Leserechte zu erhalten, denn der Grundgedanke des Vertrags und der Nutzungsbedingungen spräche nicht dagegen, andererseits seien die Nachrichten höchstpersönlichen Inhalts und hätten keinen ökonomischen „Wert“. Das Bürgerliche Gesetzbuch setze für diese Rechtspositionen jedoch voraus, das sie verkörpert und nicht nur virtuell existierten.

Schutz des Fernmeldegeheimnisses, Art.10 Grundgesetz

In jedem Falle könne aufgrund des Fernmeldegeheimnisses der Chat – und Emailpartnern der Verstorbenen der Zugang nicht gewährt werden.

Denn das Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG) schütze ebenfalls gespeicherte Kommunikationsinhalte, die nur für einen bestimmten Nutzerkreis bestimmt seien. Der Schutz erstrecke sich auch auf E-Mails, die auf den Servern von einem Provider gespeichert seien. Weitere gesetzliche Ausnahmen, die den Zugang ermöglichen, wie beispielsweise Zugangsverschaffung, um technische Dienste an der Plattform vorzunehmen, seien in diesen Fällen nicht ersichtlich.

Kein Zugriff auf E-Mail- und Social-Media-Konten auch mit Einwilligung des Erblassers

Zwar hat Google einen „Inactive Account Manager“ eingerichtet, wodurch der Nutzer zu Lebzeiten bestimmen kann, was mit den Daten im Falle seines Ablebens geschehen soll. Wird ein Konto lange nicht mehr genutzt, schickt Google dem Kontoinhaber eine Warnung, reagiert er nicht, werden die von dem Kontoinhaber zuvor angegebenen Personen benachrichtigt.

Das Gericht stellt jedoch mit seinem Urteil klar, dass diese Einwilligung die Erben trotz alledem nicht berechtigt, in das Konto einzusehen. Denn zusätzlich zu der Einwilligung des Erblassers müssen darüber hinaus die Dritten eingewilligt haben, deren Nachrichten im Zweifelsfall durch die Erben gelesen werden.

Fazit

Durch die Digitalisierung von Dateien findet kein Eigentumserwerb an körperlichen Dingen mehr statt. Es werden nur noch die Nutzungsrechte an den Werken erworben. Das hat zur Folge, dass die gesamten, teils kostspieligen Musik -, Buch- und/oder Filmdateien mit dem Tod des Erwerbers einfach verloren gehen.Da liegt es auf der Hand, dass zukünftig etliche Rechtsstreits zu erwarten sind. Es bleibt spannend, wie die Gerichte entscheiden werden.

Für den Zugang zu höchstpersönlichen Nachrichteninhalten jedoch scheint die Rechtslage nun geklärt; den Erben steht aufgrund des Fernmeldegeheimnisses der Dritten kein Anspruch auf Einsichten in Nachrichten zu.

1 Kommentar Schreibe einen Kommentar

  1. Die Entscheidung des Gerichts ist offensichtlicher Blödsinn, denn die Entscheidung widerspricht der geltenden Physik. Das Brief- und Fernmeldegeheimnis ist auch in keiner Form betroffen. Genauso wie Briefe vererbt werden können, können Mailkonten vererbt werden. Wer da einen Unterschied sieht ist entweder saudumm oder versteht Mathe und Physik falsch (für mich besteht da kein wesentlicher Unterschied. Denn auch intelligente Säue haben keine Ahnung von M+P! Saudumm eben). Wenn der Erblasser nicht will, dass die Mails gelesen werden, etc., kann er diese zu Lebzeiten löschen, so wie er die Briefe verbrennen kann, statt alles aufzuheben. Davon müssen die Kommunikationspartner ausgehen! Tut er es nicht, erhalten die Erben den Zugang. Dann treten die Erben in die Pflicht ein, das Fernmeldegeheimnis zu wahren, so wie vorher der Erblasser. Ich hatte gerade folgenden Fall: Schließfach wurde Sufgrund Erfalls zwangseröffnet und der Inhalt – Persönliche Schreiben – kommentarlos an mich ausgehändigt. Wo war da das Briefgeheimnis? Ein Facebookkonto ist nichts anderes als ein digitales Schließfach! Die Unterscheidung „virtuell“ ist in diesem Zusammenhang willkürlich falsch gewählt. Digital gespeicherte Daten sind ebenso grundsätzlich nichtvirtueller Natur wie Papierdokumente, denn sie werden in von-Neumann-Maschinen physikalich gespeichert, so wie Schrift auf Briefen. Erst Quantencomputer könnten das ändern – das entspricht dann dem menschlichen Gedächtnis, das mit dem Tod stirbt – oder auch nicht (YMMV, AKA Esoterik). Aber so so lange Computer Daten physikalisch deterministisch verarbeiten und soeichern, so lange gibt es keinen physikalischen Unterschied zwischen Realität und Cyberspace. Gerichte können das vielleicht versuchen anders zu sehen, es wird aber genauso schiefgehen, wie der Versuch, PI per rechtsgültigem Gerichtsentscheid auf 3 festzulegen. Ja, das hat ein US-Gericht wirklich mal getan. Nicht versucht, sondern wirklich getan.

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